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Tomio Okamura wurde trotz Warnungen seines Bruders zum Parlamentspräsidenten gewählt
Am Ende halfen auch die Warnungen Hayato Okamuras nichts, der seinen kleineren Bruder Tomio vor den Abgeordneten als labile Person und „ernsthafte Bedrohung“ beschrieb. Mit 107 von 108 Stimmen der Koalition aus ANO, Motoristen und SPD wurde Tomio Okamura am Mittwochabend vom tschechischen Abgeordnetenhaus zu dessen Vorsitzenden gewählt. Damit ist der rechtsextreme Politiker protokollarisch der drittwichtigste Mann in der Tschechischen Republik.
Dass der für seine rassistischen Ausfälle und seine Nähe zu Putins Russland bekannte Chef der extremistischen SPD überhaupt so weit kommen konnte, hängt mit dem Machtkalkül des früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš zusammen. Der ist für seine abermalige Wahl zum Regierungschef auf die Stimmen der SPD angewiesen, wollte es aber vermeiden, eine so problematische Person wie Okamura am eigenen Kabinettstisch zu haben. Ihn auf das weitgehend repräsentative Amt des Parlamentspräsidenten abzuschieben, war für Babiš eine günstige Lösung, die viele Tschechen jedoch empörte. Um sicherzugehen, hatten sich alle 108 Abgeordneten der Koalition schriftlich verpflichten müssen, für Okamura zu stimmen, auch wenn die Wahl selbst geheim abgehalten wurde.
In der stundenlangen Aussprache hatten am Nachmittag zahlreiche Politiker der anderen Parteien ihre tiefen Vorbehalte gegen Okamura geäußert, teils in emotionalen Worten. Am eindrücklichsten bliebt aber die Rede von Okamuras großem Bruder Hayato, der seit Jahren für die Christdemokraten im Abgeordnetenhaus sitzt und sich bisher in der Öffentlichkeit nur sehr zurückhaltend über Tomio geäußert hatte.
In diesem wichtigen Moment wolle er ein „wenig an die Geschichte unserer Familie erinnern, die Ihnen offensichtlich nicht bekannt ist“, sagte der tiefgläubige Hayoto in leisem, aber bestimmten Ton. Er begann mit dem Moment, an dem die Eltern den kleinen Tomio 1972 in Tokio aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht hatten und er als Sechsjähriger in die Wiege blickte.
Ein Leben zwischen Mähren, Prag und Tokio
Dann erzählte er von der Mutter, die aus einer gebildeten, sehr musikalischen Familie in Mähren stammte, und dem Großvater, der unter der NS-Herrschaft von den Schergen Reinhard Heydrichs für Monate eingesperrt worden war. Die Mutter hatte ihren Neigungen in der sozialistischen Tschechoslowakei nicht nachgehen können und studierte schließlich, als letzte Wahl, Elektrotechnik. Den japanischen Vater der Brüder lernte sie über eine Brieffreundschaft kennen, für die sie im Selbststudium Englisch lernte. Der Vater schaffte es nach Abschluss seines Soziologiestudiums über die Bundesrepublik nach Prag, wo Hayoto 1966 zur Welt kam.
Da die Mutter in der japanischen Gesellschaft nie zurechtkam, ging sie mit den drei Söhnen allein zurück in die Tschechoslowakei, wo sie die Familie mit einfachen Jobs über Wasser halten musste. Der Vater habe die Kinder zweimal im Jahr für je eine Woche besucht, berichte Hayoto, mehr sei nicht möglich gewesen. Die Mutter habe versucht, „uns im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten während des kommunistischen Regimes die bestmögliche Erziehung zu bieten.“
„Seit seiner Kindheit schwer verletzt“
Dann beschrieb er den Abgeordneten, wie die Mutter ihr ganzes Leben lang unter irrationalen Ängsten gelitten habe - und das wohl der Punkt, an dem er zu den möglichen Gründen für den Irrweg des mittleren Bruders Tomio kommt. Für fast ein Jahr sei die Mutter wegen einer schweren Nervenkrankheit im Krankenhaus geblieben, die kleineren Brüder Tomio und Osamu mussten für Monate in ein Kinderheim. Er glaube, sagte Hayoto, „dass Tomio Gottes Liebe nicht erfahren hat“, dass er seit seiner Kindheit „schwer verletzt“ sei. Das spiegele sich in seinem politischen Wirken wider.
Auch die Mutter habe später mit großer Sorge beobachtet, in welche Richtung sich Tomio politisch entwickelte. Er selbst sehe den Bruder außerhalb des Parlaments fast nur noch zu Weihnachten und Ostern.Am Ende schloss Hayoto mit der klaren Warnung: Er halte es für eine „ernsthafte Bedrohung“, jemanden zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer zu wählen, „der unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der NATO infrage stellt“. Das sei „kein Kinderspiel“, zumal der Posten kein rein repräsentativer sei.
„Ich wünsche ihm persönlich und als meinem Bruder alles Gute“, sagte Hayoto, doch im Grunde sei er ein „instabiler Mensch“, der Politik lange Zeit „eher wie ein Geschäftsmann betrieben“ habe, „nicht wie eine Person mit einem soliden moralischen Fundament, auf das wir uns verlassen könnten“ – vor allem in einer kritischen Situation, die angesichts der komplexen internationalen Lage jederzeit eintreten könne.